"Urteile über Qualitäten und Mängel sollte man zurückhalten..."

Zur Entstehung und Aneignung

Die Heroisch-romantische Oper "Fierrabras" ist Franz Schuberts letztes vollendetes Bühnenwerk, komponiert zwischen dem 23. Mai und dem 2. Oktober 1823. Es war für Schubert die Zeit der Arbeit an seinem Liederzyklus "Die schöne Müllerin". Mit diesen Liedern sollte er sich als ein Meister in der Gestaltung imaginärer Räume erweisen. Spätere Kritiker wie Eduard Hanslick oder Alfred Einstein sprachen sich hierüber voller Bewunderung aus; dem Komponisten des "Fierrabras" aber bestritten sie jeglichen Sinn für jene "geheimere Welt" (Hölderlin), die sich im Wechselspiel zwischen Wort und Musik auftut. Diese Spaltung des Komponisten Franz Schubert in einen genialen Liedkomponisten und unfähigen Opernkomponisten stand einer vorurteilsfreien Aneignung des "Fierrabras" mehr als ein Jahrhundert lang im Wege.

Schubert selbst konnte mit gutem Grund auf eine günstige Aufnahme des "Fierrabras" hoffen, war doch der Librettist Josef Kupelwieser Sekretär der K&K Hofoper im Theater nächst dem Kärnthnerthore, das ihm die Komposition einer deutschen Oper übertragen hatte. Doch nur dreiundzwanzig Tage nach der Vollendung des "Fierrabras", am 25. Oktober 1823, wurde die Große heroisch-romantische Oper eines anderen Komponisten am Kärntnertortheater uraufgeführt: Carl Maria von Webers "Euryanthe"; diese aber hatte keinen Erfolg. Der Höhepunkt der Romantischen Oper war - zumindest in Wien - erreicht, der Gipfelpunkt schien überschritten. Vor dem Wagnis, mit "Fierrabras" eine weitere groß besetzte deutsche Oper einzustudieren, scheute die Theaterleitung nun zurück. Und als Kupelwieser Ende 1823 seinen Sekretärsposten am Theater aufgab, war an eine Aufführung nicht mehr zu denken.

Ausschnitte aus Schuberts "Fierrabras" erklangen erstmals 1858 in einer konzertanten Aufführung in Wien, und damit begann auch die an Vorurteilen reiche Aneignungsgeschichte. Eduard Hanslick fällte sein folgenschweres Urteil, dieses Textbuch setze einen vollständigen "Kindheitszustand des Publikums" voraus, "und eine ebenso vollständige Resignation des Komponisten auf alles, was Poesie, Geschmack und Zusammenhang heißt". So sind alle späteren Aufführungen von dem Bemühen getragen, das Werk zu "verbessern". Unter Felix Mottls Leitung kam es 1897 in Karlsruhe, anlässlich des 100. Geburtstages von Schubert, zur ersten szenischen Aufführung, bei der man jedoch das Werk um ganze Szenen kürzte und an deren Stellen Balletteinlagen setzte. Auf diese Fassung griff 1926 das Theatre de la Monnaie in Brüssel zurück. Doch weder diese Aufführung noch solche aus jüngerer Zeit - wie die konzertanten Wiedergaben in Perugia (1978) und Aachen (1980) oder die szenischen Aufführungen in Philadelphia (1980), in Hermance bei Genf (1981) und Augsburg (1982) - konnten das Werk wiederbeleben. Das Interesse erlosch immer wieder, nicht zuletzt immer noch unter dem Eindruck der Kritik Hanslicks. Erst 1985 wurde der Teufelskreis durchbrochen, als Werner Thomas mit seinem Essay "Bild und Aktion in Fierrabras"* einen neuen Blick auf das Werk eröffnete. Er fragt sich, ob die angeblichen Mängel des Werkes nicht vielleicht seine Tugenden sein könnten, freilich verkannt von einer Zeit, die andere Tugenden brauchte und forderte. Und mit Mauricio Brown forderte Werner Thomas: "Urteile über Qualitäten und Mängel sollte man zurückstellen, bis diese Opern, in erstklassiger Aufführung, als Ganzes gegeben worden sind." Ein solches Ereignis fand am 8. Mai 1988 zu den Wiener Festwochen im Theater an der Wien unter Claudio Abbados musikalischer Leitung und in der Regie von Ruth Berghaus statt (siehe Szenenfoto).

* In: Franz Schubert. Jahre der Krise 1818-1823. Kassel, Bärenreiter 1985

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