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Standing Ovations, Blumen, Umarmungen
Mit großer Besetzung: Marcus Boschs letztes Sinfoniekonzert. Mahlers Achte beweist ihre Tücken.
Von Pedro Obiera
Aachen. Dass das Aachener Publikum seinen Generalmusikdirektor schätzt, ist bekannt. Wie sehr, davon konnte und kann man sich jetzt beim festlichen Abschied Marcus Boschs vom Konzertpodium noch einmal überzeugen. Drei ausverkaufte Abende mit Zusatzbestuhlung – der letzte in der Reihe heute um 20 Uhr – unterstreichen das Vertrauen, das man in die Leistung des neuen Nürnberger Musikchefs setzt. Es gab Standing Ovations, Blumen und Umarmungen ohne Ende.
Zu seinem Abschied vervollständigte Bosch mit der problematischen 8. Sinfonie nicht nur seinen nicht unumstrittenen Mahler-Zyklus: Mit der Einladung von zahlreichen Chören der Region, das Werk mit 350 Kehlen aufzuführen und damit den Beinamen „Sinfonie der Tausend“ fast wörtlich zu nehmen, unterstreicht er seine Verbundenheit mit dem Aachener Land.
In den ersten 20 Minuten wurde es ein Schulterschluss im Dauer-Fortissimo, der nicht nur die Statik des Eurogress‘ unter Druck setzte. Der Pfingst-Hymnus „Veni, creator spiritus“, eine krachende Orgie unter Starkstrom, ist Mahlers plakativster sinfonischer Erguss. Akustisch lässt er sich live kaum bändigen. Das verstärkte Aachener Sinfonieorchester, zwischen Chormassen und den aus voller Brust tönenden Solisten sitzend, konnte sich kaum durchsetzen, erst recht nicht der dünne Orgel-Ersatz. Stattdessen gaben die begeisterten Sänger alles, was ihre Lungen hergaben. Differenzierungen welcher Art auch immer dürfen da nicht erwartet werden.
Wesentlich kultivierter geht es im zweiten, ausführlicheren Teil mit der Schlussszene aus Goethes „Faust“ zu. Die atmosphärisch starke, geheimnisvolle Instrumentaleinleitung musizierten die Sinfoniker mit Hintergründigkeit und Delikatesse. Der wesentlich kleiner dimensionierte Chorpart ließ eine gestaltende Hand erkennen. Die Solisten lösten ihre Aufgabe zufriedenstellend, auch wenn die, zugegeben, extrem exponierten Passagen in den hohen Lagen nicht immer mühelos erklangen und von einem geschlossenen Ensemble nur bedingt geredet werden kann.
Was stimmliche Qualität und Textdeutung angeht, führt Bariton Hrólfur Saemundsson als Pater Ecstaticus die Männerriege an. Bassist Woong-jo Choi erfüllt den Pater Profundis zwar mit beeindruckendem Volumen, gestaltet aber zu einförmig. Scott MacAllister als Doctor Marianus, an sich ein Heldentenor von gutem Ruf, greift den Aufbruch „Blicket auf zum Retterblick“ leider nur mit halbem Schwung auf. Die Sopranistin Claudia Iten ist in den hohen Lagen extrem gefordert, was vor allem dem Eingangs-Hymnus nicht zu mehr vokaler Schönheit verhilft. Katharina Hagopian und, von der Empore singend, Irina Popova (Sopran) sowie Sanja Radisic und Daniela Denschlag in den tieferen Registern zählen zu den Pluspunkten der Aufführung, die vor allem durch ihre solidarische Geste beeindruckte.
Entsprechend frenetisch und dankbar fiel der Beifall des Publikums aus, in den auch die Chöre einstimmten: Opernchor, Sinfonischer Chor, Kinder- und Jugendchor des Theaters, Aachener Kammerchor, Aachener Bachverein, Cappella Aquensis, Carmina Mundi, der Junge Chor, Madrigalchor Aachen, Eupener Knabenchor,
Heinrich-Schütz-Chor Aachen und schließlich der Rundfunkchor Riga.
Frenetisch gefeiert: Marcus Boschs letztes Sinfoniekonzert mit Orchester, Solisten, zwölf Chören und Mahlers 8. Sinfonie. Foto: Andreas Schmitter
(Quelle: AZ/AN vom
11.06.2012)
CD-Mitschnitt in
limitierter Auflage
Von Marcus Boschs Abschiedskonzert mit Mahlers 8. Sinfonie erscheint im Juli ein CD-Mitschnitt in limitierter Auflage. Der gesamte Erlös geht an das Projekt „Jedem Kind seine Stimme“.
Vorbestellungen sind ab sofort an der Theaterkasse (Tel. 0241/4784-244) möglich.
„Das Publikum hier liebt eher das Kulinarische“
Der scheidende Generalmusikdirektor über seine „fantastische Zeit“, Kultur als Hofnarr der Gesellschaft und die Suche nach dem perfekten Klang
Aachen. Wagners „Tristan und Isolde“, das letzte Sinfoniekonzert mit Mahlers monumentaler 8. Sinfonie an drei Abenden hintereinander im rappelvollen Eurogress (Kritik siehe unten): Die letzten Wochen als Aachener Generalmusikdirektor fordern noch einmal vollen Einsatz von Marcus Bosch. Nach zehn Jahren verlässt er zum Ende der Spielzeit die Stadt und wechselt ganz ans Staatstheater Nürnberg. Höchste Zeit also, Bilanz zu ziehen mit dem 42-jährigen Dirigenten: beim Abschiedsbesuch in der Redaktion unserer Zeitung, im Gespräch mit den Redakteuren Bernd Mathieu, Bernd Büttgens, Eckhard Hoog und Hermann-Josef Delonge.
Herr Bosch, wie ist es um Ihre Gemütslage bestellt? Herrscht die Freude über den kompletten Wechsel nach Nürnberg vor oder die Wehmut über den endgültigen Abschied von Aachen?
Bosch: Das ist an jedem Tag anders. Obwohl der Fokus in der Planung jetzt doch eher auf Nürnberg gerichtet ist. Ich freue mich wirklich unbändig auf die neue Aufgabe. Ich glaube, nach zehn Jahren in Aachen habe ich den Kreis dessen, was hier zu leisten war und was auch die Stadt leisten konnte, abgeschritten.
Wenn Sie zurückdenken an Ihren Start in Aachen: Wie groß waren Ihre Erwartungen damals? Und wie schnell sind die enttäuscht worden?
Bosch: Wenn ich jetzt darauf blicke, was ich in Aachen erreichen konnte, waren meine Erwartungen am Anfang sehr viel geringer. Direkt nach meinem Start gab es Diskussionen in der Stadt, das Orchester zu verkleinern. Man muss sich das noch einmal in Erinnerung rufen: Es kamen damals ja nicht mehr als 400 bis 500 Menschen in die Sinfoniekonzerte. Der Konzertsaal war quasi leergespielt. Ich kann mich noch gut an die erste Frage in meinem ersten Interview mit Ihrer Zeitung erinnern: Warum glauben Sie, dass Sie es hier in Aachen schaffen? Ich wollte mich von dieser anfänglichen Verzagtheit und Mutlosigkeit nie berühren lassen. Ich glaube, das ist mir gelungen.
Die Zuhörerzahlen haben sich in Ihrer Zeit in Aachen vervierfacht. Wie ist Ihnen das gelungen?
Bosch: Diese Steigerung gab es so nur im Konzert. In der Oper ist uns das leider nicht gelungen. Ich habe da kein Patentrezept. Wenn es eins gäbe, würden es alle anwenden. Ganz klar ist aber: Ohne Qualität funktioniert nichts, dieses Kriterium steht ganz oben. Und dann muss man das Glück haben, die richtigen Partner für neue Projekte und Ideen zu finden. Dieses Glück habe ich bei den Konzerten gehabt: mit dem ALRV, mit Christian Mourad bei den Kurpark Classix oder auch mit dem Eurogress etwa bei Gold & Silber oder dem Neujahrskonzert. Ohne diese Partner stünden wir heute ganz anders da. Ich glaube, dass es mir insgesamt gelungen ist, dem Publikum in Aachen als jemand entgegenzutreten, dem es glauben kann, der für das steht, was er sagt. So konnte ich die tiefe Entfremdung, die vorher hier geherrscht hat, überwinden.
Stichwort Qualität. Wie war das möglich, die so zu steigern? Das Orchester haben Sie ja nicht ausgewechselt.
Bosch: Ich habe das Orchester auch bei meinem Amtsantritt nicht als schlecht erlebt. Es hat sich diese Qualität über die Jahre in hohem Maße bewahrt und sich sehr gut selbst organisiert. Das Potenzial war immer gut, aber es war einfach nicht ausgereizt.
Muss man als Dirigent ein Orchester erobern?
Bosch: Und wie!
Wann haben Sie gemerkt, dass Ihnen das in Aachen gelungen ist?
Bosch: Kann ich nicht so einfach beantworten. Ich halte es da mit Sepp Herberger: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Wenn Sie ein tolles Konzert haben, kann die nächste Probe schon wieder voll in die Hose gehen. Das hängt auch von Stimmungen ab. Tatsächlich ist es ja so: Der Dirigent hat ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber der großen Orchestergruppe, der einzelne Orchestermusiker gegenüber dem Dirigenten. Aus dieser Spannung können Konflikte entstehen. Die gab es in meiner Zeit hier in Aachen natürlich auch. Da gab es zum Beispiel Kollegen, die gesagt haben: „Mir gefällt das nicht, wie Sie Bach, Mozart machen.“
Sind Sie eher ein autoritärer Dirigent, oder lassen Sie sich auch auf Diskussionen ein?
Bosch: Der Blickwinkel darauf ist verschieden: Je besser ein Musiker ist, desto eher wird er mich als kommunikativ empfinden – und umgekehrt. Mein Ziel ist es eigentlich immer, „primus inter pares“ zu sein. Man muss als Dirigent aber klar eine Richtung vorgeben. Ganz ohne Autorität funktioniert es in diesem System nicht. Ich zähle mich aber zu einer neuen Generation von Dirigenten, die den Beruf anders begreifen, schon allein, weil sie etwa die Beschäftigung mit neuen Formaten und neuen Wegen der Vermittlung als ganz wesentlichen Teil des Berufs sehen. Die Zeiten des Elfenbeinturms sind endgültig und zum Glück vorbei. Bedenklich finde ich es aber schon, dass wir zum Teil das Wasser selbst erzeugen müssen, in dem wir schwimmen.
Was meinen Sie damit?
Bosch: Ein Musiker will ja in erster Linie gute Musik machen und dadurch sein Publikum gewinnen. Das Erfinden neuer Formate gehört nicht unbedingt zu seinen originären Aufgaben. Wir müssen aber zum Beispiel verlorene Bildung ersetzen. Wir machen – nicht nur – Kinderkonzerte, die so moderiert sind, dass sie an die Musik heranführen. Publikum schaffen, Neugier wecken, Bildung ersetzen: Das war früher so nicht nötig.
Sie können ja jetzt vergleichen: Ist das in Nürnberg anders?
Bosch: Es ist schwierig, einen Vergleich zu ziehen. In Nürnberg ist die Oper aber auf jeden Fall ein gesellschaftliches Ereignis. Viel stärker als in Aachen. Es gibt dort eine andere, stärkere Tradition des Mäzenatentums. Das Publikum ist Regieexperimenten eher aufgeschlossen. In Aachen liebt das Publikum eher das Kulinarische, das Sinnliche. Und es sollte immer ein bisschen lustig sein (schmunzelt).
Dabei wäre es doch ein Leichtes, diese Erwartung zu bedienen.
Bosch: Dann stellt sich allerdings die Frage, was man als Theatermensch von sich selbst verrät. In Aachen bemüht man sich aber, auch die Erwartungen des Publikums zu erfüllen.
Stichwort Mäzenatentum. Es ist nicht gelungen, in Aachen ein Haus für Musik zu bauen, in dem das Orchester einen angemessenen Konzertsaal gefunden hätte. Wie groß ist die Chance, die die Stadt verpasst hat?
Bosch: Riesig. Letztlich hat es die Initiative hinter dem Projekt nicht geschafft, genug Menschen mitzunehmen. Das aber ist Grundbedingung in Aachen. Und dann stand das Projekt Bauhaus Europa im Raum und wurde dagegen ausgespielt. Diesen Gegensatz habe ich aber nie so empfunden. Ich hätte mir gewünscht, dass in Aachen ein architektonisch anspruchsvolles Museum von Rang und ein Haus für Musik Platz gefunden hätten. Das hätte der Stadt als Oberzentrum gut zu Gesicht gestanden. Ein vollkommen überdimensioniertes Stadion ist dann allerdings gebaut worden. Ich kann auch bis heute nicht verstehen, warum es damals nicht gelungen ist, das Haus für Musik mit der Euregionale zu verbinden. Das Argument, das Konzerthaus habe keine überregionale Ausstrahlung, erschließt sich mir bis heute nicht. Vor allem, wenn man sieht, was bei der Euregionale letztlich herausgekommen ist.
Ihre Arbeit hier war ja immer begleitet von Diskussionen über Etats und Kürzungen. Wie ist es, in dieser Atmosphäre kreativ tätig zu sein?
Bosch: Letztlich zeigt sich doch immer wieder, dass die Kultur Hofnarr der Gesellschaft ist. Das ist bitter. Noch bitterer ist es allerdings zu erfahren, dass nach Tariferhöhungen immer die Forderung kommt, das Theater solle diese – im Gegensatz zu allen anderen städtischen Einrichtungen – selbst übernehmen, obwohl die Kämmerei wissen sollte, dass dies nicht möglich ist. Für die Menschen, die auf der Bühne stehen, ist das ex- trem erniedrigend. Umso mehr geht mir der Hut hoch, wenn über Subventionen für das Theater gestritten wird, der Einsatz von Hundertschaften an Polizei vor den Fußballstadien aber völlig selbstverständlich bezahlt wird, oder die Stadt für den Tivoli einspringt. Und das sage ich als eingefleischter Fußballfan!
Rein rechnerisch sind die Pro-Kopf-Subventionen für das Theater höher als für den Tivoli. Berechtigt?
Bosch: Es geht doch nicht darum, das gegeneinander auszuspielen. Ich fordere eine faire Betrachtung ein. Es kann doch nicht sein, dass ich heute erklären muss, warum Kultur und damit Bildung wichtig ist. Vor 20 Jahren wäre das nicht notwendig gewesen.
Wenn Sie in ein paar Jahren an Aachen zurückdenken: Was wird Ihnen dann in den Sinn kommen?
Bosch: Dass ich hier zehn Jahre lang eine richtig fantastische Zeit hatte. Es war meine erste große Chefstelle; ich habe mit einem Orchester gearbeitet, das sich beständig und eigentlich bis zum letzten Tag entwickelt hat. Die Geburt zweier unserer Kinder fiel in diese Zeit. Und ich hatte immer das Gefühl, dass die Beziehung zum Pu- blikum ganz besonders intensiv und fast einzigartig eng war. Das werde ich nie vergessen.
Wie haben Sie sich selbst in dieser Zeit verändert?
Bosch: Ich glaube, das müssen Außenstehende beurteilen. Ich reagiere leider immer noch sehr emotional auf Ihre Zeitungskritiker (lacht). Meine Frau sagt, ein bisschen mehr Gelassenheit wäre gut. Ich bin im Umgang mit dem Orchester mit Sicherheit konzilianter geworden. Was sich nicht verändert hat, es geht mir immer um die Musik, um die Suche nach dem perfekten Klang. Und da muss ich dem Orchester ein großes Kompliment machen.
Sind Sie Perfektionist?
Bosch: Absolut.
Dann muss es viele frustrierende Erlebnisse für Sie geben.
Bosch: Warum? Perfektion bedeutet an dieser Stelle für mich: Ich habe alles versucht. Enttäuschung ja, aber Frust bringt nichts.
Gibt es das: den perfekten Klang?
Bosch: Ja, für Sekunden. Dass allerdings wirklich alles stimmt, gibt es aber ganz selten. Ein Antrieb mehr, es immer wieder neu zu versuchen.
„Die Beziehung zum Publikum war ganz besonders intensiv“: Marcus Bosch, scheidender Aachener GMD. Foto: Harald Krömer
(Quelle: AZ/AN vom
11.06.2012)
Konzertkritik
/ Interview im PDF-Format
AACHEN/ Eurogress:
SYMPHONIE DER TAUSEND/ Symphonie Nr.8. von Gustav Mahler
Addio creator spiritus! – “Abschied” 8. Sinfoniekonzert des Sinfonieorchesters Aachen GMD
Marcus Bosch: Gustav Mahler: Symphonie Nr. 8 “Symphonie der Tausend”. Eurogress Aachen 10.6.2012
Ein “creator spiritus” war der scheidende Aachener GMD Marcus Bosch für das Musikleben der Domstadt im Dreiländereck sicherlich. Nicht nur, dass er während seiner Amtszeit für eine stets steigende Nachfrage und Auslastung in den Konzertabonnements sorgte, auch seine Opernproduktionen waren stets ein Garant für ein volles Haus. Mit seinem Abschied nach Nürnberg hat er es sich nicht leicht gemacht: In der Oper läuft noch die von ihm geleitete “Tristan”-Serie.
Für sein “Abschied” tituliertes, letztes Sinfoniekonzert bordete er sich und all seinen Mitstreitern gleich eines der komplexesten Werke der Musikliteratur auf: Gustav Mahlers “Achte”, nicht umsonst als “Symphonie der Tausend” apostrophiert. Nach einem kompletten – auch auf CD festgehaltenen Bruckner-Zyklus, diversen kühnen Chor- und Domkonzerten war Mahlers Mammutwerk nur der konsequente Schlusspunkt.
Sympathisch, dass er für den immensen Chorpart alle von ihm in seiner Ära verpflichteten Chöre um sich scharte. Trotz aller Sympathie für dieses Unterfangen lag darin die Crux der Aufführung, denn schnell stellte sich heraus, dass Aachen nicht über den geeigneten Konzertsaal für diesen symphonischen Giganten verfügt. Nun steht die Domstadt weiß Gott nicht allein mit diesem Problem. Mit dem Eurogress hat Aachen zwar eine durchaus
akustisch zufriedenstellende Spielstätte, aber hier platzte der Saal förmlich aus allen Nähten und das Chorpodium beanspruchte fast doppelt so viel Raum wie für das nun gar nicht leicht besetzte Orchester. Dass man die Kinderchöre sich verstohlen auf den Podiums-Boden hinter dem Schlagwerk kauern hieß, kann man nicht anders als eine Notlösung brandmarken. Die wirklich atemberaubende Chorwucht, vor allem in den Forti im ersten Teil erdrückte einer Druckwelle gleich alles was ihr im Wege stand, vom Orchester war da manchmal kaum noch etwas zu vernehmen. Dabei hatte Bosch da durchaus präzis mit seinen Aachener Sinfonikern gearbeitet und so wurden die reinen Instrumentalstellen auch zu den absoluten Hörgenüssen des Abends, vor allem das mystische
Mysteriose zu Beginn des zweiten Teils. Die edle Süße des Violinsolos im ersten Teil, die filigran gesetzten Flageoletts der Streicher, der wie aus dem Nichts heranschwebende Beckenschlag, das war fein
herauszisiliert. Leider zerfaserte Bosch im Laufe des zweiten Teils der Spannungsbogen zusehends, weil er nur noch um Zusammenhalt bemüht war. Der Aufschwung der Seele Faustens geriet somit zu einem Stationendrama einer beschwerlichen Kalvarienbergsbesteigung.
Mit der problematischen Raumaufstellung – weite Teile klangen, als hätte Mahler
ein überdimensioniertes Konzert für Celesta und Orchester komponiert, hatten vor allem die Sänger zu kämpfen. Enttäuschend Claudia Iten, die mit dem heiklen Part des ersten Soprans ihre liebe Mühe hatte und sich mit forcierten zu engen Spitzentönen durch die Partitur kämpfte.
Mit falsettierten Fisteltönen suchte der Tenor seinem Part Herr zu werden, das Ergebnis klang, als hätte Mahler den Part des Doctor Marianus für einen vierten Sopran oder eine Altknabenstimme gesetzt, “bleibe gnädig” war da nur noch ein verzweifelter Hilferuf. Achtbar schlugen sich die Restlichen: Bassgewaltig mit nobler runder Tongebung Woong-jo Choi als überragender Pater profundus, dem der Ecstaticus von Hrolfur Saemundsson in Schönheit der Kantilene in nichts nachstand. Irina Popova gab eine strahlende Mater Gloriosa, Katharina Hagopian eine stimmschöne Poenitentium, für das Altfundament steuerte Daniela Denschlag gehörige Orgeltöne bei, etwas blass hingegen Sanja Radisic im Mezzopart.
Die Chöre ihrer zehn an Zahl legten sich gewaltig ins Zeug, die Gunst der Stunde nutzend. Manches geriet überragend,
vor allem stupende Piani, wie man sie nur selten zu hören bekommt, nur mit der Goetheschen Textur tat man sich seltsamerweise recht schwer, vor allem den Herren hätte eine Nachhilfestunde einer Lectura Goetheniensis gut angestanden. Mit dem pausbäckischen Übereifer, mit dem die Kinderchöre ihren Part bewältigten, schmunzelte das englische Lachen Raffaels herein.
Das zufriedengestellte Aachener Publikum jubelte dankbar, ob des selten in ihrer Domstadt dargebotenen Werks zum einen, zum anderen um ihren scheidenden GMD noch einmal gebührend zu feiern, der nach guter alter Aachener Tradition mit einem Printenkonterfei bedacht wurde.
Dirk Altenaer
(Quelle: "Der neue Merker" vom 09.06.2012)
Selbst dem GMD versagt vor Rührung die Stimme
Nach dem letzten Sinfoniekonzert unter der Leitung von Marcus R. Bosch als Aachener Generalmusikdirektor gibt es viel Lob und Dank und eine zünftige Party
Von Heike
Nelsen-Minkenberg
Aachen. Da versagte selbst dem Generalmusikdirektor (GMD) die Stimme. Sein Abschiedskonzert am Dienstagabend war so emotional, dass mehr als nur einer die Tränen wegdrücken musste.
Zu Mahlers 8. Sinfonie schwang Marcus R. Bosch zum letzten Mal den Taktstock im Eurogress. Er dirigierte das Werk, das wegen der zahlreichen Chöre auf der Bühne auch „Symphonie der Tausend“ genannt wird. Hunderte von Sängern zückten am Ende ein weißes Taschentuch, um sich mit diesem eindrucksvollen Bild von „ihrem“ GMD zu verabschieden.
Aber das erste Wort hatte natürlich Marcel Philipp. Der Oberbürgermeister dankte „für ein Konzert, das – so behaupte ich – in dieser Form vor der Ära Bosch nicht möglich gewesen wäre.“ Mit diesen Worten fasste Philipp die Leistung Boschs prägnant zusammen, bevor er persönlicher wurde: „Wir feiern Sie, Marcus Bosch, den Musiker, aber auch den Menschen. Den sympathischen Menschen, der so viele mitnimmt auf seinem Weg.“
Mitgenommen war Bosch aber zunächst einmal selbst, überwältigt von seinem letzten Moment auf den Dirigentenpodium im Europa-Saal und dem grandiosen Applaus, der einfach nicht enden wollte. Als Bosch dann an die Höhepunkte der ersten Aachener Chorbiennale erinnerte, versagte ihm die Stimme. Ein langes Schlucken – dann erst konnte es weitergehen mit seinem Dank, der sich an das Publikum, in erster Linie aber an das Orchester richtete. Selbstkritik ließ er dabei aber nicht aus: „Ich habe vielen Vieles und manchmal sicherlich Übermenschliches abverlangt. Sie haben das Orchester im Konzert immer in Topform gesehen, aber viele Proben waren sehr, sehr hart.“
Die Orchestermusiker haben diese Herausforderung in den letzten zehn Jahren aber nicht übel genommen – sondern im Gegenteil gezeigt, wie sehr der Abschied ihnen
leid tut. Werner Gronen, Sprecher des Orchestervorstandes, überreichte feierlich zwei ganz besondere Abschiedsgeschenke: eine antike Beethoven-Biografie und einen signierten Autographen von Friedrich Klose. Dessen Oper „Ilsebill“ war das allererste Stück, das Bosch in Aachen einstudierte. Mit einem Augenzwinkern wies der Orchestersprecher darauf hin, dass es sich natürlich um das Begehrensmotiv der Ilsebill handelt: „Ich will!“ – so wie Bosch in Aachen einiges wollte und vieles in Bewegung gesetzt hat. Nur Kulturdezernent Wolfgang Rombey wunderte sich, dass Bosch nicht mehr Geld wollte – für sich und das Theater. Was dieser wiederum lachend zur Kenntnis nahm und seinen Nachfolger aufforderte, den Dezernenten in finanzieller Hinsicht stärker in die Zange zu nehmen.
Zahlreiche Ideen
Inzwischen hatte Marcus R. Bosch, auch die schwarzen Frackschöße gegen einen legeren grauen Anzug getauscht, und nun ging es über zum informellen Teil des Abends – denn zu den zahlreichen Ideen, die der 42-Jährige in Aachen umgesetzt hat, gehört auch die „Season End Party“ – ein Fest für das Orchester, jeweils am Abend nach dem letzten Sinfoniekonzert der Saison. Dazu baute die Aachener Band Lagerfeuer ihr Equipment im Foyer des Eurogress auf. Hinter dem Notausgang wurde noch schnell der Grill angeworfen – und ab ging die Sause. Klassische Orchestermusiker, die zu Songs von den Beatles bis zu aktuellen Charthits so richtig abrockten. Bis tief in die Nacht feierte das Orchester bei Bier und Grillwürstchen noch seinen scheidenden GMD, die gelungene Spielzeit und – verdientermaßen – auch sich selbst.
„Wir feiern Sie, Marcus Bosch, den Musiker, aber auch den Menschen.“ Mit bewegenden Worten verabschiedet Oberbürgermeister Marcel Philipp (links) den scheidenden Generalmusikdirektor Marcus R. Bosch nach dessen letztem Sinfoniekonzert.
Foto: Ralf Roeger
Das Thema: Abschied von Marcus R. Bosch
Hubert Bruynswyck
„Ich kann mich erinnern, wie unser Musikleben vor zehn Jahren aussah. Seitdem hat Marcus Bosch für das Musikleben so viel getan. Ich kann nur wünschen, dass es so bleibt, dass die Bürger dem Orchester und der Musik zugewandt bleiben. Deshalb haben wir uns viel Mühe gegeben, in Kazem Abdullah einen geeigneten Nachfolger zu finden.“
Emil Ciocoiu
„Marcus Bosch hat viel Mut gezeigt und viel in der Stadt bewegt. Wir haben ein gemeinsames Projekt entwickelt. Im Eurogress habe ich meine Planeten-Bilder ausgestellt, zu seinem Konzert ,Die Planeten‘ von Gustav Holst. Marcus Bosch ist jemand, der Power hat, und er wird sicher auch in Nürnberg Karriere machen.“
Ruth Crumbach-Trommler
„Marcus Bosch ist ein Menschenfischer im positiven Sinn. Er versteht es, die Menschen anzusprechen mit seiner Musik, aber auch mit seiner Art. Und ich habe eine Träne im Knopfloch, wenn er weggeht. Das ist für mich der bleibende Eindruck – ob es die Krönungsmesse im Dom war oder Mahler im
Eurogress.“
Hermann Josef Pilgram
„Ich habe Marcus Bosch mal eine Jazz-CD geschenkt. Aber darauf hat er mich nie wieder angesprochen. Ich glaube, die hat ihm nicht gefallen. Davon abgesehen gab es immer sehr intensive Auseinandersetzungen zwischen der Politik und Herrn Bosch. Aber die waren letztendlich immer sehr konstruktiv.“
Thomas Beaujean
„Marcus Bosch hat sich auch selbst in Aachen wahnsinnig entwickelt. Er kam als junger Mann mit 32 Jahren. Handwerklich ist das toll, was er geleistet hat. Er hat das Orchester auf einen nicht für möglich gehaltenen Stand gebracht. Ich habe Opernaufführungen gehört, die Maßstäbe gesetzt haben. ,Figaros Hochzeit‘ etwa war stilbildend.“
Alexander Lohe
„Was ich an Marcus Bosch bewundere, ist, wie er durch die von ihm dirigierte Musik die tiefen Schichten der Seele der Zuhörer erreicht. Der heutige Abend ist ein Beispiel dafür, das war voller Wucht und Tiefgang, das hat Emotionen hervorgerufen – so wie nur die Musik es auszudrücken in der Lage ist.“
Fotos: Heike Nelsen-Minkenberg
Die letzten Termine
mit Marcus R. Bosch
In Aachen wird Marcus R. Bosch noch zwei Mal „Tristan und Isolde“ dirigieren, am Sonntag, 17. Juni, 15 Uhr, und am Samstag, 7. Juli, 17 Uhr.
Nach der letzten Aufführung, wahrscheinlich gegen 22 Uhr, wird es ein Abschiedsfest im Spiegelfoyer geben. Der Eintritt zum Fest kostet 19,20 Euro, Buffet inklusive.
(Quelle: AN vom 14.06.2012)
Ablösesumme: Marcus Bosch ist einmal pro Jahr in Aachen
Von Robert Esser
Aachen. Der Mann macht einfach Appetit auf mehr. Gerade noch genießt der scheidende Generalmusikdirektor Marcus Bosch minutenlang stehende Ovationen der 1250 Besucher im ausverkauften Eurogress, eine Stunde später steht der 42-Jährige am Grill. Grillzange statt Taktstock.
Nach dem Publikum darf es sich jetzt das Orchester schmecken lassen - lecker. Maria Poquett und ihr Gastro-Team aus dem Theater laden zum vierten Mal zum Grillabend. Gemütlich, gesellig - und mit genialer Musik der Band Lagerfeuer, die den Kontrabass gerne mal kopfüber spielt.
Das fasziniert auch Klassik-Profis. Nach Mahlers Achten mit fast 500 Akteuren (inklusive Chören) auf der Bühne gibt's hier hinter der Spielstätte Würstchen, Nackensteaks, Pute und Salate. «Köstlich», findet das GMD Bosch.
«Das ist eine tolle Atmosphäre zum Abschied; ich fühle mich sehr geschmeichelt», sagt der Dirigent, der Aachens Sinfonieorchester in zehn Jahren laut Orchestervorstand Werner Gronen «auf einen Spitzenplatz in der Wertschätzung in der deutschen Orchesterlandschaft geführt hat».
Oberbürgermeister Marcel Philipp würdigte zuvor bereits im großen Saal Leistung und Leidenschaft des charismatischen Maestros. «Wie feiern Sie und das Orchester!» Applaus. «Danke für Ihre Genialität und für die Vervierfachung des Publikums - auch im Namen der Kämmerin.»
Noch mehr Beifall. Hunderte Chorsänger winken mit weißen Taschentüchern, Bosch ist sichtlich ergriffen. «Das war immer eines meiner wichtigsten Anliegen: Menschen, die keinen Zugang zur Klassik hatten, für diese zu interessieren», sagt er später. Mission geglückt.
Man spürt: Das Publikum liebt ihn. Weil Bosch Verdi, Wagner und natürlich Bruckner gebracht hat - zu den Kurpark Classix, in «Gold & Silber» im Eurogress, bei «Pferd & Sinfonie» im Reitstadion.
Und es gönnt ihm den Wechsel nach Nürnberg, genauso wie Aachens Kulturdezernent Wolfgang Rombey: Vor einigen Ehrengästen erinnert er an den 26. März 2011. «Da kam ein Anruf meiner Kollegin, einer ausgesprochen attraktiven Frau», wie der Dezernent betont.
Doch das Gespräch nahm eine unerfreuliche Wendung - mit bekanntem Aus- und Aufstieg. Bosch darf sich am Staatstheater Nürnberg auf den doppelten Etat freuen. «Das haben Sie sich verdient», sagt Rombey. Aachen freut sich auf Nachfolger Kazem Abdullah. Wobei zuvor noch zwei Aufführungen «Tristan und Isolde» mit Bosch im Theater, die letzte am 7. Juli mit Abschiedsfest im Spiegelfoyer, auf dem Programm stehen.
Dann wollen Spitzenköche Boschs Leibspeisen kredenzen. Auch deshalb wird er aus Nürnberg zurückkehren - nicht in der nächsten Spielzeit, aber danach: «In meinem Vertrag ist eine Ablösesumme festgelegt - das heißt ein Dirigat pro Jahr in Aachen.»
Das wird dem Publikum der Kaiserstadt schmecken. Ovationen garantiert.
(Quelle:
AZ vom 14.06.2012)